Struktur-Fetischisten und Plan-Liebhaber werden diesen Artikel zum Teufel jagen.
Es soll jedoch keine Anleitung zu verzweifelten Chaostaten werden. Vielmehr geht es um die Bereitschaft die Zügel wieder mal lockerer zu halten, weniger auf Strukturen zu achten und damit Neugier, Entdeckergeist und Kreativität in unserer Gesellschaft wieder Oberhand gewinnen zu lassen. Doch dafür benötigt es ein radikales Umdenken gegenüber dem Wort: Improvisation.
Was uns davon abhält zu improvisieren
Gegen weniger Planung und Struktur sträubt sich leider Angst. Die Angst vor Fehlern, dem Scheitern und dem Kontrollverlust. Tief geprägt durch all unsere westlichen Gesellschaften hat sich „Improvisation“ leider einen fahlen Beigeschmack zugezogen. Es hat etwas von Experimentieren, wenig vorbereitet oder durchdacht zu sein, planlos und spontan oder noch schlimmer sich durchzuschummeln.
In Zeiten von ständig wachsenden Anforderungen und der Schnelllebigkeit unserer Marktwirtschaft leben viele in Sorge, überhaupt noch Schritt halten zu können mit der „Veränderung“. Oder sind schon hoffnungslos überfordert.
„Vielen Menschen fällt es auch deshalb so schwer, weil es einen radikalen Bruch von lieb gewonnenen Gewohnheiten bedeutet.“
Improvisieren um zu überleben
Doch wie schon Darwin zitierte, werden nicht die Fittesten unter uns überleben, sondern die, die sich am schnellsten an neue Gegebenheiten anpassen können. Und die Fähigkeit zur Improvisation ist die Basis dafür: Die Arbeit, sich viel Wissen anzueignen, damit flexibel im Kopf zu sein und fokussierte Entscheidungen treffen zu können. Doch das fehlende Vertrauen in diese eigenen Fähigkeiten und die gleichzeitige Angst vor dem Loslassen fällt vielen sehr schwer. Egal ob in Vertrieb, bei Präsentationen oder im Job.
Improvisation ist kein Talent –sondern ein Werkzeug
Ich erinnere mich noch gut an meinen ersten Auftritt als Speaker vor vielen Jahren. Eine kleine Wirtschaftsgruppe, die sich neue Ansichten aus dem Verkauf holen wollte. Ich war toll vorbereitet, hatte eine gute Struktur im Kopf und plante „minutiös“ diese 1,5 Stunden-Rede. Ich wusste wann ich was zu sagen hatte, konnte die Lacher und emotionalen Momente in und auswendig runterrattern. Ich war leider so gut vorbereitet, dass ich nach dem ersten Hänger nicht mehr in die vorbereitete Struktur kam. Ich konnte den Faden nicht mehr aufgreifen und musste dann … improvisieren.
Zugegeben, die Erfahrung von rund 200 Moderationsauftritten half in diesem Fall. Und darin liegt das Potential für Sie.
„Improvisation ist kein Talent – es ist ein Werkzeug, das wir lernen und uns erarbeiten können.“
Und es hilft nicht nur in Reden und Präsentationen, sondern wird in unserem beruflichen Alltag fast täglich benötigt.
Improvisieren zu können, ist ein Erfolgsgarant!
Für mich ist die Improvisations-Fähigkeit (nein – es ist kein Talent) die Fähigkeit der Zukunft.
Es ist die Kunst, entspannt mit unvorhergesehenen und schnelllebigen Veränderungen umzugehen. Es umfasst so viel Grundlegendes – wie die Bereitschaft Fehler zu machen, Flexibel im Geist zu sein, mit Kreativität nach Lösungen zu suchen und dabei fokussiert am eingeschlagenen Weg zu bleiben. Wer die Improvisations-Fähigkeit besitzt, kann schnell Lösungen erarbeiten…
„…und das ist wohl wirklich eine durchaus attraktive Eigenschaft –
egal ob für unsere Kunden im Verkauf, die eigene Karriere oder unsere Vorgesetzten.“
5 Tipps, um Improvisation zu lernen
1. Bereitschaft zur Veränderung
Um überhaupt improvisieren zu lernen, müssen wir uns auf viel Arbeit und dem Auseinandersetzen mit uns selbst einstellen. Von Streicheleinheiten werden Sie sich nicht weiterentwickeln – sorry, da muss ich Sie enttäuschen. Wenn wir nun weiterhin nur mit negativen Erfahrungen des Wandels konfrontiert werden, ist die Bereitschaft aus den tiefen und breiten Spuren unserer Gewohnheiten auszubrechen dementsprechend gering. Wollen wir dieser Machtlosigkeit entfliehen und damit „Herr unserer Entscheidungen werden“, ist es die erste Aufgabe uns das Gefühl zurückzuerobern, selbst Einfluss auf die Veränderung nehmen zu können.
Was Sie tun können:
In den meisten Fällen hilft für den ersten Schritt schon die Frage nach einem höheren Sinn und Zweck der Veränderung. Wie können Sie davon profitieren? Wie wirkt sich der Wandel positiv auf Sie und Ihr engstes Umfeld aus?
2. Perfektionismus ade – Bereitschaft für Fehler
In unseren Kulturkreisen des Westens wohl das größte Problem. Wo in den USA ein Unternehmer ohne Konkurs kein ernst zu nehmender Unternehmer ist, heftet unsereins im Westen bei Pleiten das verängstigende Bild des Versagers an.
Beim Improvisieren jedoch gibt es keine Fehler. Was viele Menschen in Job, im Verkauf oder bei Veränderungen aufhält, ist die Angst, Fehler zu machen. Wir streben nach dem eitlen Wunsch immer die perfekte Lösung zu suchen.
„Und der Wunsch, immer die beste Lösung zu finden, treibt uns zu oft in die Überstrukturierung und Totplanung.“
Bei dem Streben nach Perfektion verrennen sich somit viele. Es geht gar nicht darum, fehlerfrei zu sein, sondern mit diesen richtig umzugehen, daraus zu lernen und die Lösung auf neue Gegebenheiten anzupassen.
Was Sie tun können:
In der nächsten Präsentation oder beim nächsten Kundenbesuch lassen Sie bewusst einen (in Ihren Augen) wichtigen Punkt aus. Wenn Ihr Gegenüber darauf nicht reagiert, haben Sie die Gewissheit, dass sie öfter mal „anscheinend wichtige Dinge“ ohne Sorge „vergessen“ können. Selbst wenn es auffallen sollte, ermutigen Sie sich immer wieder bewusst „Fehler“ einzubauen. Das steigert ihr Vertrauen in die Improvisation.
3. Scheuklappen ab
Die Welt ist so komplex geworden und wir versinken immer wieder im Dschungel der Chancen und Optionen. Dabei würden uns ein paar einfache Gedanken oftmals schon helfen, um die Lösung zu finden. Vor ein paar Jahren war ich mit meiner Freundin in den Tropfsteinhöhlen am Dachstein. Am Ende der Führung fragte uns der Guide, was die in allen Farben glitzernden und zu tausenden auf der Decke zu sehenden Spitzen denn sein könnten. Die Formen sahen eckig aus und die ganze Gruppe hat alle möglichen Thesen und Ideen aufgezählt – Kristalle, Ablagerungen, Spiegelungen von außen, … Bis sich zwei Kids gemeldet haben und leise zum Guide sagten: Das ist doch Wasser! Und ja, es war einfach nur stinknormales Wasser in dem sich die Felsen spitz spiegelten.
Was Sie tun können:
Eine wunderbare Szene wie unglaublich beschränkt wir manchmal sind, wenn es darum geht, gewohnte Denkbahnen zu verlassen, sich Neuem anzupassen oder eben ein wenig mehr zu improvisieren. Und ja, „einfach“ zu denken wie Kinder, würde auch uns oftmals schon zur Lösung helfen.
4. Ohren aufsperren
Langweilig denken Sie? Viele der Improvisationstechniken kommen aus dem Schauspiel- und Theater-Bereich. Im Improvisations-Theater reagieren die Schauspieler auf das, was ihr Gegenüber sagt oder macht. Und das erfordert höchste Konzentration und Aufmerksamkeit. Wie sonst sollten sie Situationen verstehen und damit schlüssige Handlungen folgen lassen.
Was Sie tun können:
Haben Sie Ihre Vorgesetzten bei einer Bitte von Ihnen (zB Gehaltserhöhung, Unterstützung für ein Projekt/Kunde etc.) schon mal sagen hören: „Im Moment geht das leider nicht!“? In diesem einfachen Beispiel-Satz steckt jedoch eine unbewusste Botschaft. Sie könnten hierbei direkt nachfragen, wann es konkret besser ist nochmal danach zu fragen! Solche und ähnliche Situationen bieten sich täglich zig-fach. Höchste Konzentration auf Ihr Gegenüber und die Situation hilft Ihnen mit Ihren Gedanken fokussiert bei der Sache zu bleiben. Auch kleine Details in der Körpersprache oder der gesamten Situationen werden damit viel bewusster wahrgenommen.
5. Vertrauen Sie Ihrem Instinkt
Im Verkauf kenne ich viele Menschen, Kunden wie Verkäufer, die gerne aus dem Bauch heraus entscheiden. Fakt ist, wir entscheiden uns zu 93% aus emotionalen Gründen für ein Produkt oder eine Dienstleistung. Und diese Grundlage trifft auch auf persönliche Entscheidungen in Job und Business zu. Beim Improvisieren wird Wissen, das in uns schlummert, impulsiv aktiviert. Und dieses Wissen besteht überwiegend aus einer soliden Mixtur aus guten und schlechten Erfahrungen.
In einem meiner Verkaufstrainings hatte ich Junior-Verkäufer zur Ausbildung bei mir. Gute, willige und ehrgeizige Männer und Frauen. Sie alle waren für ihre Übungs-Verkaufsgespräche top vorbereitet. Sie hatten alle ihre Struktur für das Gespräch intus und hielten sich eisenhart daran. Die erste Runde bestand aus stocksteifen Horror-Gesprächen, weil sie alle auf Ihr Tablet und die darin versteckten Produkt-Infos und Notizen vertraut hatten. Dabei ist die Natürlichkeit des Gesprächs und ihr bisheriges Wissen völlig verloren gegangen. Ein Ergebnis von zu viel Struktur, Kontrolle und Planung.
In der zweiten Runde war meine Empfehlung – vertraut auf euer Wissen und eure empathischen Fähigkeiten und lasst euer Tablet einfach mal liegen. Das Ergebnis waren sympathische Persönlichkeiten, die trotz Videoaufnahmen und 10 Augenpaaren die sie beobachteten plötzlich ein völlig natürliches Gespräch führen konnten.
Was Sie tun könnten:
Lassen Sie „Ihr Tablet im Auto“. Vertrauen Sie auf Ihr Wissen, Ihre Erfahrungen und den guten Impuls Ihres Instinkts. Er steigert ihr Selbstvertrauen mit jeder Entscheidung.
Ihr Mindmaker
Jürgen Eisserer